Die Geologische Entwicklung des Gasteiner Heilstollens
Eine Reihe erfolgreicher geologischer Prozesse innerhalb eines beachtlichen Zeitraums von einigen Millionen Jahren war letztlich erforderlich, um unser weltweit einzigartiges Vorkommen mit
dem natürlichen Edelgas Radon hier am Talschluss des Gasteinertals entstehen zu lassen.
Im folgenden Modell werden diese Vorgänge in ihrem zeitlichen Ablauf grafisch dargestellt und der bekannte Weg zur Entdeckung und Nutzbarmachung der unterirdischen Quelle der heutigen
erfolgreichen medizinischen Anwendungen im Gasteiner Heilstollen wird kurz beschrieben.
Geburt eines Berges und seiner Brüder
Das vor der alpidischen Gebirgsbildung zwischen Europa und Afrika durch Erosion der Kontinente im Penninischen Ozean (das alte Mittelmeer) abgelagerte Gestein konnte dem gewaltigen Druck beim Nordschub Afrikas nur nach oben (Auffaltung) und zur Seite (nach Osten und Westen) ausweichen. Durch die dabei erfolgte Dehnung der Gesteine in Ost-West-Richtung entstanden zahlreiche nord-süd-gerichtete, steile Zerrklüfte, welche das neue Gebirge bis in große Tiefen in mehrere Teilschollen zerschnitten. Einer dieser Risse teilte auch den späteren Gasteiner Radhausberg für immer in zwei Hälften, welche auch in horizontaler Richtung relativ zueinander bewegt wurden. Dieser Riss bildete schließlich die geologische Voraussetzung für einen gewaltigen Vererzungsprozess (hydrothermale Sulfid- Vererzung) in der Endphase der alpidischen Orogenese (Abb. 1).

Vor ca. 25 Mio. Jahren: ein Berg wird reich
Der große Gewichtsdruck der überlagernden Gneise (Abb. 2) mobilisiert Buntmetalle aus den unterlagernden paläozoischen Schiefern der Habachformation. Die dort enthaltenen Edelmetalle werden allein durch die Existenz dieser tiefen Spalte (Zone völliger Druckentlastung) in dieser nach oben gerissen, das vorwiegende Transportmedium dabei ist die ebenfalls aus dem Gestein ausgepresste Kieselsäure (SiO2). Im Zuge des Aufstiegs der Metalllösungen kommt es zur Abkühlung und Kristallisation, die Hohlräume der Gangspalte füllen sich mit Erzen. Ein Ausgasen der Kieselsäure in den obersten Bereichen führt zur Bildung von sulfosalzreichen Quarzdrusen mit vereinzelten Freigoldkristallen (Glaserze).

Eine Kleinigkeit fehlte noch…
Nach Abschluss der Vererzung wird der gesamte Radhausberg ein zweites Mal von den inzwischen langsam ausklingenden alpidischen Gebirgsbildungskräften zerrissen (Abb. 3). Es entstehen oberflächennahe, flache Entspannungsklüfte im Gneis, deren Bruchflächen durch starke Relativbewegungen vollständig zerrieben werden. Der Abrieb bildet ein feinklastisches und weitgehend wasserdichtes, toniges Sediment in den Bruchzonen. Druck und Temperatur reichen nicht mehr für das eventuelle Auswandern von Erzen in diese Strukturen, sie bleiben weitgehend taub. (Die Bergleute werden diese Strukturen später als „Fäulen“ bezeichnen.)

Vor ca. 10.000 Jahren: Endlich wird es warm…
Es folgte eine lange Periode ohne weitere wesentliche geologische Ereignisse. Erst am Ende einer bisher letzten globalen Vereisung vor etwa 10.000 Jahren wurde die Bildungsgeschichte der Gasteiner Heilquellen weiter fortgesetzt. Das Abtauen des kilometerdicken Eispanzers (Abb. 4) führt in kurzer Zeit zu einem gewaltigen Angebot an freien Oberflächenwässern, welche einerseits beginnen, die Flanken des Berges langsam zu erodieren, andererseits jedoch, vor allem entlang der westlich ausstreichenden Fäulen, relativ rasch ins Innere des Berges abgeleitet werden. Der poröse Gneis kann auf diese Art große Mengen der Schmelzwässer aufnehmen und entlang seiner nach Osten einfallenden Schieferungsflächen langsam in die Tiefe leiten. Die unterlagernden Schiefer hingegen bilden einen natürlichen Wasserstauer. Die hohe Gesteinstemperatur in der großen Tiefe hat Zeit, zu wirken, das Wasser erwärmt sich, verringert sein spezifisches Gewicht und steigt somit wieder nach oben. Beim Aufstieg erfolgt wiederum eine relative Abkühlung (Abnahme der Gesteinstemperatur, Vermischungseffekte mit nachströmenden kühleren Wässern etc.), sodass sich schließlich langsam ein großräumiger Kreislauf aufbauen kann.
Ein großer Teil der Schmelzwässer ist so in den Gneisen des Radhausberges vorerst für lange Zeit gefangen und löst die darin enthaltenen Spurenelemente, wie Radium, Chrom und Fluor. Die im Wasser gelösten metallischen Radiumsalze zerfallen in gasförmiges Radon, aber erst nach der Anreicherung mit Fluorsalzen können die Wässer auch die Metalle des Erzganges angreifen und lösen. Plötzlich entsteht ein hervorragender Aufstiegsweg für die Radonwässer entlang der leer geräumten Gangkluft zurück in Richtung Oberfläche. Doch eine für das aus der Tiefe aufsteigende Wasser unüberwindbare, mit tonigen Sedimenten gefüllte Fäule stoppt diesen Prozess und schützt den Erzgang vor weiterer Auslaugung.
Gleichzeitig beginnt sich am Ende der Eiszeit allmählich auch die Geometrie des Berges deutlich zu verändern. Die Talflanken werden durch die abschmelzenden Gletscher stark erodiert und eingetieft, sodass die heißen Wässer jetzt über zahlreiche Quellen vor allem an der Westflanke austreten und abfließen können.
Ein erster natürlicher Quellhorizont bildet sich aus, der darüber noch verbliebene Erzgang ist vor weiterer Auslaugung gerettet und hat wieder seine Ruhe.

Vor ca. 250 Jahren: Die Gier nach Gold…
Einige Tausend Jahre später. Der Radhausberg hat im Wesentlichen seine heutige Form erlangt (Abb 5). Die weitere Erosion der Talflanken lässt auch die Austrittspunkte des Thermalwassers Höhenlage der Quellen) stetig sinken, bis der Thermalwasserspiegel im Berg schließlich seine heutige Höhe erreicht. Die an der Westflanke des Berges weiterhin einsickernden Oberflächenwässer drücken die Thermalwässer aus den Quellen, ähnlich wie in einem bis zum Rand gefüllten und überlaufenden Eimer. Gefüllt wurde dieser Eimer in der Eiszeit, sein Rand ist der jeweils aktuelle Quellhorizont.
Doch mit der langen Ruhe des verbliebenen Erzganges ist es damit auch schon wieder vorbei. Nachdem sich die Heilkraft der Quellen am Fuße seines Berges herumgesprochen hat, lockt nun auch sein rostig-brauner Kopf (oxidierte Ausbisszone) zahlreiche Abenteurer und Bergleute in das Tal, die ihm und seinen Edelmetallen nun von der Oberfläche aus zu Leibe rücken. Der Gang wehrt sich mit all seinen Kräften (einsitzende Grubenwässer, hochalpine harte und lange Winter, komplizierter Erztransport etc.) – doch trotzdem: Der historische Bergbau entreißt ihm erbarmungslos seine Schätze bis in Tiefen von ca. 400 m. Dann muss die damalige handbetriebene Technik aufgeben, ein weiteres Vordringen in die Tiefe ist unmöglich, obwohl die Edelmetalle weiter locken. An manchen Stellen hatte man auch bereits die große Fäule erreicht und im Geheimen wunderte man sich, dass hier das reiche Erz plötzlich brach. Doch niemand maß dieser Beobachtung große Bedeutung zu; man war sicher, dass sich die Vererzung in die Tiefe fortsetzen musste.

Vor ca. 80 Jahren: Ein fast perfekter Plan…
Der Radhausberg und seine Schätze sind inzwischen annektiert und Bestandteil des Deutschen Reiches (Abb. 6). Mit modernster Technik wird ein neuer Zugangsstollen zu tieferen Abschnitten des Erzganges von der östlichen Talflanke aus vorgetrieben. Knapp zwei Jahre dauert dieser hoffnungsvolle Versuch namens Paselstollen, welcher Ende 1944 nach 1.840 m auch wirklich den Erzgang ca. 400 m unter dem historischen Bergbau erreicht.
Mit großer Enttäuschung muss das damalige Berliner Reichswirtschaftsministerium jedoch zur Kenntnis nehmen, dass kein Erz im Gang gefunden werden kann. Auch ein 120 m hoher Aufbruchschacht im Gang zeigt nur leere, ausgelaugte Hohlräume mit heißem Wasserdampf, welcher alles Gestein in seiner Umgebung auf über 40 °C erwärmt hat. Kopfschüttelnd verließ man diesen aus Sicht der deutschen Bergleute wertlosen Stollen, der Berg hatte wieder einmal gesiegt.
Erst am Beginn der 1950er-Jahre entdeckte man die Radonhaltigkeit des heißen Wasserdampfes in der Grube Paselstollen und der Zusammenhang mit den berühmten Gasteiner Thermalquellen war erkannt.

…und heute: Quelle der Gesundheit
Es lag nahe, die aus den Quellen seit Jahrhunderten geschätzte Heilkraft des Radons nun auch im Stollen für Patienten nutzbar zu machen. So wurde hier 1952 von den Gasteinern in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Innsbruck ein einzigartiger und in seiner Wirkung bisher unübertroffener Heilbetrieb eingerichtet, der bis heute mit großem Erfolg unzähligen Patienten mit Beschwerden des rheumatischen Formenkreises Erleichterung und Linderung bringen konnte. Bisweilen erinnert man sich noch an das edle Gold im Erzgang, von dem vielleicht noch kleinere Reste im Bereich der Fäule vorhanden sein könnten. Aber angesichts seines reichlich fließenden Schatzes in Form von Radon wird der Berg heute wohl endgültig seine verdiente Ruhe gefunden haben. Die von Zeit zu Zeit in seinem warmen Bauch schlafenden Patienten stören ihn dabei sicher nicht wesentlich, wenn man bedenkt, was der alte Riese in seiner wechselvollen Geschichte schon alles hinter sich gebracht hat …